Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa durch die vollständige Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Als Gedenktag erinnert er jährlich an die tiefe Zäsur von 1945, den Neuanfang und die doppelte Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus.

Laurentius Kanthak wurde 1932 in Fürstenau (jetzt Polen, damals Hinterpommern) geboren. (Die Redaktion)

Am 25.2.1945 wurde unser Ort von russischen Jagdfl ugzeugen angegriffen. Unser Dorf war nur 20 km von der polnischen Grenze entfernt. Das Haus meiner Eltern stand am Dorfanfang. Auf unserem Hof standen deutsche Soldatenautos. Unser Hof war ein Vierseitenhof, er bot Sichtschutz gegen Flieger. Einige hundert Meter vor dem Dorf hatten die Soldaten ein Vierlingsfl akgeschütz aufgestellt. Unser Ort wurde dadurch am Dorfanfang nicht zerstört. Die Flieger zogen sich durch den Beschuss zur Dorfmitte oder Dorfende zurück.

Meine ältere Schwester hatte sich mit den Soldaten angefreundet und so nahmen sie uns gegen Abend mit Richtung Westen. Übernachtet haben wir in Bublitz, das war ca. 40 km von unserem Heimatort entfernt. Am nächsten Morgen standen die russischen Panzer vor der Stadt. Die Soldaten nahmen uns bis nach Stolp mit. Dort war auch deren Flucht zu Ende. Sie wurden neu zusammengestellt und an die Front geschickt.

Alle Flüchtlinge wurden in Güterwagen per Bahn in Richtung Berlin verfrachtet. Der ganze Güterzug, in dem wir waren, war mit zwei Flakgeschützen gegen Flieger gewappnet. Ich denke, es waren nicht nur Flüchtlinge in dem Zug.

Als wir in Berlin ankamen, war es dunkel. Zu unserem Erstaunen waren für jeden Flüchtling Quartierleute da, die uns in Empfang nahmen und bei denen wir auch wohnten. Meine Mutter und ich wurden bei den alten Leuten und meine beiden Schwestern bei den jungen Leuten, die in einem Haus wohnten, einquartiert. Das muss alles um die letzten Februartage 1945 gewesen sein. Am selben Abend, an dem wir angekommen waren, mussten wir noch in den Fliegerbunker – im Haus durften wir nicht bleiben. Der Bunker war in Dahlwitz-Hoppegarten. Ich kann mich noch entsinnen: wenn wir dort hingegangen sind, ging es quer über die Pferderennbahn, um schnell dort zu sein.

Alle Selbstversorger durften in meinem Heimatort noch schlachten, wir hatten selbst Schweine. Meine Mutter hatte einen kleinen Koff er Wurst mitgenommen, sonst wären wir wohl verhungert. Es gab immer nur ein kleines Stück Wurst zu dem bisschen Brot. Die Monate bis zum Kriegsende – Anfang Mai – waren Essen besorgen und fast jeden Abend in den Fliegerschutzbunker zu gehen, alles, was passierte.

An dem Tag, als die Rote Armee einmarschierte, waren wir auch im Bunker, wir saßen dort nur auf Holzbänken. Ein russischer Offi zier und ein Soldat kamen als erste rein. Der Offi zier sagte in gebrochenem Deutsch „Sitzen wie im Theater“, dann sagte er noch „Hitler kaputt, könnt alle nach Hause gehen“.

Dann kam die Zeit, in der es nichts zu Essen gab. Da wir vom Lande waren, wie man so sagt, wussten wir, wie Kartoff elmieten aussehen. Die Mieten waren noch voll Kartoff eln. So holten wir uns jeden Tag welche, bis man uns verscheucht hat (das war schon nach Kriegsende).

Meine große Schwester hatte inzwischen Leute getroff en, die aus Hinterpommern waren. Von diesen Leuten ist dann eine Abordnung zum Berliner Stadtkommandanten gegangen und hat gefragt, ob wir wieder zurück könnten. Der Kommandant hat gesagt „Ihr könnt – es ist dort schon alles geregelt“. Da wussten wir ja noch nicht, was bei den Russen „geregelt“ heißt. Allen die nach Hause wollten, es waren 35 Personen (wir hatten es am weitesten) gab der Kommandant sogar eine Bescheinigung mit. Es waren nur Frauen, Kinder und alte Leute.

Von Berlin bis zur Oder (Küstrien) fuhr die Bahn, dann ging es nicht mehr weiter. Von den 35 Leuten wollte aber keiner zurück nach Berlin. Wir gingen dann zu Fuß in Richtung Heimat (über Stargard, Falkenberg, Neustettin). Die ersten Tage auf unserem Heimweg haben wir alle in leer stehenden Häusern übernachtet. Das hatten die Russen bald mitbekommen. Das erste, wenn wir übernachten wollten, war Verstecke für die Frauen zu suchen. Die einzige Möglichkeit, die uns nun blieb – war im Wald zu übernachten, es war Ende Mai und zum Glück warm.